Hilfe, mein Kind will Speedcuber werden

Hallo, dieser Artikel richtet sich (hauptsächlich) an besorgte Eltern, die sich fragen, was wohl davon zu halten ist, wenn Sohn oder Tochter ständig am Zauberwürfel drehen und Speedcuber sein wollen. Ist das nicht die totale Zeitverschwendung? Oder wozu soll das gut sein? Dazu ein paar Gedanken.

Auf einem Poster mit dem Titel „Rubik’s Cube Knowledge“, das man im Internet bestellen kann (z.B. hier), werden folgende Benefits genannt:

  • Stärkt Problemlösungsfähigkeiten.
  • Entwickelt scharfe mentale Reflexe.
  • Entwickelt Geduld, Entschlossenheit und Ausdauer.
  • Verbessert die allgemeinen kognitiven Fähigkeiten.
  • Zeigt die Notwendigkeit zu üben.

Und ich finde, da ist einiges dran. Klar sind Mathe- oder Englisch-Hausaufgaben wichtig, und etliche Cuber haben eine Vereinbarung mit ihren Eltern, dass sie erst Cuben, wenn die Hausaufgaben fertig sind. Aber durch das Speedcubing werden einige Fähigkeiten trainiert, die man gut gebrauchen kann und die aber teilweise kaum durch die Schule vermittelt werden.

Dazu gehört Fingerfertigkeit und Training des sogenannten „Muskelgedächtnisses“. Natürlich kann man das auch z.B. am Klavier oder auf der Blockflöte trainieren, nur sind Verspieler dort unangenehmer. 😉 Das Einstudieren von „Fingertricks“ und schnellen Bewegungsabläufen ist jedenfalls etwas, das in der Jugend einfacher fällt als in fortgeschrittenem Alter. Gerade das späte Kindesalter wird auch als bestes Lernalter für die Entwicklung der Koordination bezeichnet. Kinder lernen in dieser Phase besonders schnell. „Eltern, Lehrer und Trainer sollten diese sensible Phase der motorischen Entwicklung besonders beachten, da verpasste koordinative Entwicklungen im späteren Verlauf nur schwer nachgeholt werden können.“ (Phasen der motorischen Entwicklung nach Röthig). Aber auch im Jugendalter, das eine Umstrukturierung der motorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten mit sich bringt (ebd.) ist eine Förderung des motorischen Lernens sinnvoll.

Aber auch abseits von Schnelligkeit und Präzision bringt das intensive Beschäftigen mit einem solchen Hobby einige Vorteile. Als erstes ist oben aufgeführt, dass Cubing Problemlösungsfähigkeiten stärkt. Zum Einen lernt man daran sehr gut, dass sich komplexe und zunächst unlösbar erscheinende Aufgaben dennoch lösen lassen, wenn man sie in Teilschritte zerlegt. Jedes Teilproblem ist lösbar (z.B. erste Ebene, zweite Ebene, Orientieren und Sortieren der dritten Ebene), und so lernt man, durch systematisches Vorgehen und Etappenziele auch große Aufgaben meistern zu können, während die Anderen noch darüber nachdenken, Aufkleber umzupappen oder das Ding in die Ecke zu werfen. 😉

Zu der Stärkung von Problemlösungsfähigkeiten gehört aber auch, einmal erworbenes Wissen auf andere Probleme anwenden zu können. Wer den 3×3-Zauberwürfel lösen kann, kann auf diesem Basiswissen auch an die Lösung anderer Cubes herangehen und sich zunehmend größere Aufgaben vornehmen. Auch lernt man, sich Wissen selbst zu erarbeiten bzw. zunächst einmal, danach planvoll im Internet zu suchen.

Auch räumliches Vorstellungsvermögen und ein Sinn für mathematische Zusammenhänge kann durch das Cubing gefördert werden. Außerhalb dieses Hobbys kommt es vermutlich eher selten vor, dass Jugendliche freiwillig über Kommutatoren oder Parität diskutieren.

Im Übrigen ist die Speedcubing-Gemeinschaft tatsächlich eine der liebenswertesten und freundlichsten Communities weltweit. Sie ist geprägt davon, einander zu helfen und sich gegenseitig zu fördern. Die hinteren Plätze (auf denen ich mich oft genug aufhalte) werden nicht ausgelacht, sondern man freut sich mit ihnen, wenn sie sich persönlich verbessern und diesmal vielleicht schnellere Zeiten schaffen als bei früheren Wettbewerben. Selbst auf den hinteren Plätzen stärkt die Teilnahme das Selbstvertrauen. In einem solchen Umfeld lernen auch die jungen Teilnehmer freundlichen und respektvollen Umgang mit den Anderen, und auch, mit dem eigenen kooperativen Verhalten zum Gelingen des Ganzen beizutragen. Fairness und das Einhalten von Regeln werden vermittelt. Trotz des Leistungsvergleichs im Wettbewerb sehen sich die Teilnehmer größtenteils nicht als gegeneinander kämpfend, sondern miteinander.

Und falls Mama oder Papa nicht ständig den Chauffeur spielen möchten: Im Jugendalter Anmeldung, Übernachtung und Mitfahrgelegenheiten etc. für Competitions selbst zu organisieren (oder gar selbst Wettbewerbe mitzuorganisieren) fördert natürlich auch die Selbständigkeit und das Selbstvertrauen.

Also: Wenn Ihr Sohn oder Ihre Tochter gerne Zauberwürfeln möchte, ist das zwar gewöhnlich keine Fähigkeit, die beim Bewerbungsgespräch abgefragt wird*, aber die durch dieses Hobby trainierten Fähigkeiten sind bestimmt auch in anderen Bereichen nützlich. Daher kann ich guten Gewissens empfehlen, dieses schöne und nützliche Hobby zu fördern.


*) Ich hatte in den 1980ern kurz nach der großen Zauberwürfel-Welle übrigens „3D-Logikspiele“ in meinem Lebenslauf unter Interessen stehen. Und laut Aussage meines späteren Chefs hat dies mit dazu geführt, dass ich die Lehrstelle als Technischer Zeichner bekommen habe.

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3 Antworten zu Hilfe, mein Kind will Speedcuber werden

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  2. Thomas sagt:

    Ich würde es für die Zukunft auch als Chance sehen dass die Speedcubing Community vielleicht Tech-Firmen als Sponsoren für Events gewinnen könnte.

    Wenn ich mir überlege wie hoch alleine die Quote der angehenden Informatiker bei den „Middle-Age“ Cubern im Alter von 18-25 ist dann ist das für die ganzen Firmen die heute jammern keine Fachkräfte zu finden doch ein wünschenswertes Zielpublikum!

    Sponsering der Comp und dafür darf die Firma im Foyer einen Infostand betreiben und Ihre Firma für potentielle Arbeitnehmer der Zukunft vorstellen!

    Wenn man überlegt was ein Werbeauftritt normal so kostet dann sind paar 100 Euro Beteiligung für eine Comp ja nicht grade viel.

    • Roland sagt:

      Guter Aspekt. Bekannte Speedcuber gibt’s bei Google, bei Github, an angesehenen Unis wie Stanford, etc. Da könnten die Firmen tatsächlich mal aufmerksam werden und ihre Talentsuche entsprechend gestalten.

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