Roland, Jäger des verlorenen Schatzes

Achtung, es folgt eine tolle Geschichte 🙂

Das Thema Cube-Roboter, also Maschinen, die den Zauberwürfel selbständig lösen können, ist gerade einmal wieder hoch aktuell. Nachdem Geräte wie der Cubestormer 3 (aus Lego-Technik) oder der Sub1 Reloaded gezeigt haben, wo die derzeitigen technischen Möglichkeiten sind, wird derzeit hauptsächlich der Gan Robot diskutiert, die erste kommerziell verkaufte Cube-Maschine. Momentan läuft er „nur“ mit dem Bluetooth-Smartcube Gan 356 i, denn der Gan Robot hat keine eingebaute Erkennung der Farben, sondern muss dies über die App bzw. von dem Bluetooth-Cube mitgeteilt bekommen.

Doch welches war die erste Zauberwürfel-Maschine überhaupt? Als ich 1987 die Ausbildung als Technischer Zeichner in einer feinmechanischen Werkstatt der Uni Köln begann, bekam ich so ziemlich als erstes mit, dass dort gerade eine Würfelmaschine als Gesellenstück eines Feinmechanikers gebaut worden war (siehe Abbildung). War die Würfelmaschine aus ‚meiner‘ Werkstatt vielleicht sogar der erste Cube-Roboter weltweit?

Ein noch früherer Zauberwürfel-Automat war mir jedenfalls nicht bekannt, aber zum Glück gibt es ja das Speedsolving-Wiki, so dass ich die gut 30 Jahre alte Frage gleich beantworten kann:
https://www.speedsolving.com/wiki/index.php/List_of_cube_solving_robots

Bereits im Jahr 1982 gab es also „Robbie Rubik“ und den „Cubot“, die den Zauberwürfel in etwa 12 bzw. 4 Minuten lösen konnten. Robbie Rubik ist beschrieben und abgebildet auf Seite 4 dieses interessanten Pdf-Dokuments: Rubik’s Cube News Letter Vol. 1 No. 2 von August 1982. Diese erste Version von Robbie Rubik hatte noch keine Farberkennung (siehe auch Gan Robot 😉 ). Das Scrambling-Muster musste also mühevoll extern eingegeben werden.

Fortschrittlicher war da schon „Cubot“. Von ihm existiert auch ein ausführliches Video, das Ihr rechts anschauen bzw. großklicken könnt.

Auf jeden Fall war ‚unsere‘ damalige Würfelmaschine aus der Werkstatt der Uni Köln, die Felix Scharstein gedreht und gefräst, sowie sein Bruder Daniel elektrifiziert und programmiert hatte, 1986/1987 eine der ersten weltweit. Und die schönste sowieso. Ein kompaktes Gehäuse, darinnen hochwertige Feinmechanik mit Fräs- und Drehteilen aus Alu und Messing. An dieser Maschine und ihren Plänen habe ich gelernt, was ein Malteserkreuz ist, und wie es eingesetzt werden kann.

Doch im Internet habe ich leider nichts über diese Maschine gefunden. Also bin ich Anfang Oktober 2019 wie alle paar Jahre mal wieder zu Besuch ins Institut für physikalische Chemie gefahren, als „Jäger des verlorenen Schatzes“. 😉 Würde ich überhaupt noch jemanden finden, der sich an diese Zauberwürfel-Maschine erinnert?

Als ich dort eintraf, war ich sehr erfreut, meinen früheren Werkstattleiter dort zu treffen. Obwohl er eigentlich schon einige Jahre im Ruhestand ist. Da hatte ich direkt den perfekten Ansprechpartner, und es war ein freudiges Wiedersehen.

Herr Metzner erklärte mir, dass der damalige Feinmechaniker Felix Scharstein heißt, und dass er die Würfelmaschine zusammen mit seinem Bruder entwickelt und gebaut hat; Felix die Mechanik und Daniel die Elektronik. Felix war bis 1987 Azubi dort, ich ab 1987. Wir waren also maximal einige Wochen Kollegen, was hoffentlich erklärt, warum ich nicht einmal mehr seinen Namen wusste.

Die Maschine wäre auch auf Felix‘ Internetseite zu finden (hier), wo es auch noch andere interessante Maschinen und Geräte geben würde.

Endlich eine Spur, ein Anfang für die Recherche. Außer der Website ließ sich so noch ein Artikel bei „Jugend forscht“ finden, mit einem historischen Foto der beiden Brüder. Auch die Computerwoche berichtete über den Bundessieg der beiden Scharstein-Brüder. Die Würfelmaschine gewann 1987 bei „Jugend forscht“ den Bundespreis im Fachgebiet Technik, den Sonderpreis der Fachverbände für Unterhaltungselektronik und den Sonderpreis des Bundeskanzlers für die originellste Arbeit.

Auf scharstein.de gab es außerdem noch ein halbes Foto (und eine halbe technische Zeichnung) der Würfelmaschine. Wie man sieht, ein sehr schönes Stück Mechanik, eine ästhetische Konstruktion. Ohne die Verkleidungsbleche eigentlich noch schöner als mit – wie bei Dampfloks allgemein üblich. 😉

Ein Video, das die ‚Würfelmaschine Bauart Scharstein‘ in Betrieb zeigt, war jedoch online leider nicht aufzutreiben. Aber natürlich habe ich Felix Scharstein gleich angeschrieben und auch zügig von ihm Antwort erhalten. Er hat sich über meine Idee gefreut, das alte Schätzchen mal in das gebührende Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Und er hat ein paar kleine Videoclips und eine technische Zeichnung mitgeschickt. Die drei Ansichten der Zusammenstellung zeige ich hier, weil es im Web praktischer darzustellen ist, in einzelnen Bildern:

Ein kompletter Durchgang mit Inspection und Solve war zwar bei den 4 kurzen Videos nicht dabei, aber man bekommt eine gute Vorstellung davon, wie die Maschine arbeitet.

  • Video 1 zeigt zunächst den Scan der Farben auf den 6 Seiten, dann einen Kurz-Solve. Wenn der Cube nicht mehr als 4 Züge verdreht war, konnte der Computer das wieder zurückrechnen, anstatt den langen Weg nehmen zu müssen.
  • Video 2 zeigt Teile eines normalen Solves bei offenem Gehäuse, so dass man die Mechanik erkennen kann. Wer kann sagen, welche Lösungs-Methode die Würfelmaschine anwendet?
  • Video 3 zeigt das Einsetzen und Starten der Würfelmaschine.
  • Video 4 zeigt eine Nahaufnahme der Würfelhalterung.

Bestimmt ist Euch schon aufgefallen, dass der Würfel ein besonderes Farbschema hat. Statt Gelb wurden hellgrüne Sticker aufgeklebt. Außerdem ist das Farbschema spiegelverkehrt zur heute üblichen Anordnung der Farben, also quasi Rot und Orange vertauscht. Das gab es in den 1980ern öfters. Aber der Grund für die hellgrünen Sticker ist – wenn ich mich recht erinnere – folgender:

Die Erkennung der Farben erfolgt über Fotozellen und LEDs in der Ableseplatte hinter dem Würfel. Um Gelb sicher von Weiß unterscheiden zu können, hätte es blaue LEDs benötigt, aber diese waren damals noch astronomisch teuer. Ich meine mich zu erinnern, dass von ca. 900 DM pro LED die Rede war. Vielleicht auch für alle 9; jedenfalls lagen blaue LEDs damals außerhalb des Budgets, weshalb beschlossen wurde, der Maschine nur Zauberwürfel mit einem anderen Farbschema zu servieren.

So, nun kennt Ihr den verlorenen Schatz aus meiner Jugend. Falls die Gebrüder Scharstein und/oder die Uni-Werkstatt so freundlich sind und noch ein paar Informationen und Bilder bereitzustellen, werde ich einen Artikel über die Würfelmaschine machen, bei dem eher die Technik und Anwendung im Vordergrund steht als die Entdeckungsgeschichte.

Wenn meine bisherigen Informationen stimmen, dann ist die originale Würfelmaschine zusammen mit Daniel Scharstein, der inzwischen in Middlebury/Vermont Professor für Computer Science ist, in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Dass sie nach über 30 Jahren noch betriebsfähig ist, ist wohl eher nicht anzunehmen. Aber in der feinmechanischen Werkstatt an der Uni Köln wurde eine zweite Würfelmaschine gebaut (nur der mechanische Teil), die wohl dort noch im Keller schlummert. Vielleicht ist die Geschichte vom „Jäger des verlorenen Schatzes“ doch noch nicht zu Ende erzählt. 🙂

PS: Felix war so freundlich und hat mir nachträglich noch ein fünftes Video geschickt, das die Einzelbewegungen der Komponenten zeigt.

Spätestens jetzt versteht Ihr vielleicht, warum ich ein kleines bisschen verliebt in diese Würfelmaschine bin. 😉

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